Jahreslosung 2015: Auslegung & Bild
Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob.
Römer 15,7
Fotomotiv der Agentur des Rauhen Hauses
Gedanken zur Jahreslosung 2015
von Reinhard Ellsel
Eine Grundschullehrerin fragt ihre Klasse im Religionsunterricht: „Wer von euch möchte später einmal in den Himmel kommen?“ Alle Kinder melden sich. Nur Jonas nicht. Da wendet sich die Lehrerin erstaunt an ihn und fragt: „Was ist los, Jonas, möchtest du nicht?“ Der Junge antwortet: „Natürlich will ich in den Himmel kommen – aber doch nicht mit den Typen da!“
Was der Witz auf flapsige Weise ausdrückt, ist im Grunde ein ernstes Problem. Viele halten sich selbst nämlich für gut und richtig, jedenfalls für besser und richtiger als den Rest der Welt. Und deshalb weigern sie sich, andere mit ihrer besonderen Eigenart oder Herkunft zu akzeptieren.
Was mag wohl den kleinen Jonas zu dieser Aussage bewegt haben? Vielleicht haben ihn die anderen geärgert und er kann schon jetzt gut auf ihre Anwesenheit verzichten. Oder er sieht ganz genau die Schwächen der anderen: Der eine bohrt in der Nase, die andere schreibt immer nur Fünfen. „Solche Typen finde ich blöd!“
Die Lehrerin, jedenfalls wenn sie eine gute Lehrerin ist, wird über die Aussage von
Jonas erschrocken sein. Denn die Lehrerin ist doch für alle Kinder ihrer Klasse da. Sie möchte, dass nicht nur der eifrige Jonas das Klassenziel erreicht, sondern auch die verträumte Lina oder der freche Tim. Jeder soll versetzt werden und jeder soll natürlich auch in den Himmel kommen.
Wenn schon eine gute Lehrerin über solch einen Jonas erschrocken ist, wie sehr wird dann erst den Eltern das Herz bluten, wenn eines ihrer Kinder – nennen wir es wieder Jonas – erklärt: „Der Ralf, der ist das schwarze Schaf. Er darf nicht mehr zur Familie gehören, denn er hat keine Arbeit; oder er ist Alkoholiker; oder er besucht euch jetzt im Alter nicht mehr.“ Aber der Ralf, das „schwarze Schaf“, ist doch auch ein Kind der Eltern, genauso wie der Jonas. Können da die Eltern den Ralf verstoßen, ihn nicht mehr lieben?
Leider mag es hin und wieder einen Lehrer geben, der es fertigbringt, einzelne Schüler auszugrenzen und fertigzumachen. Und es kommt leider auch immer wieder vor, dass sogar Eltern mit ihren Kindern brechen, dass sie den Ralf aus ihrem Leben verbannen wollen, weil er nicht so fühlt, denkt oder handelt, wie sie es von ihm erwarten.
Aber es gibt einen, der kann das nicht. Das ist Gott. Gott hat uns alle geschaffen, den Jonas und den Ralf. Beide sollen zu seiner Familie hier auf der Erde gehören. Und beide sollen in den Himmel kommen. Woher nehmen wir dann das Recht, andere auszugrenzen?
Kunstmotiv der Agentur des Rauhen Hauses
Gedanken zur Jahreslosung 2015
von Dr. Ekkehard Graf
Beim ersten Lesen der neuen Jahreslosung denkt man unwillkürlich, dies sei wieder einmal ein weiterer Appell, damit es in unserer Welt etwas besser wird. Doch dann fällt der Blick auf die farbenfrohe Grafik der Künstlerin Carola Senz. Das helle und kräftige Gelb zeigt, dass es nicht nur um eine Aufforderung geht. Förmlich ins Licht getaucht wird der Betrachter. Und dann entdeckt man, dass es um mehr geht, als nur um ein bloßes „Seid nett zueinander!“
Wir sollen und können einander annehmen auf der Grundlage, dass Jesus uns angenommen hat. Das Wort „wie“, das die beiden Aussagen miteinander verbindet, benennt die Voraussetzung. Weil Christus uns angenommen hat, können wir einander annehmen. Jesus zitierte einmal ein Gebot aus der Zeit des Mose: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ Hier drückt das verbindende „wie“ ebenfalls aus, dass die zweite Aussage die Basis für das zuerst Genannte ist: die Selbstannahme hilft, den anderen zu lieben. Und eben auch: Gottes Liebe zu uns hilft dabei, andere anzunehmen.
So hat es auch Carola Senz im Bild zum Ausdruck gebracht: Das große Kreuz im Hintergrund schafft die Voraussetzung für das kleine verbindende Kreuz in unserer menschlichen Gemeinschaft. Weil Gott uns in Christus angenommen hat, können wir einander annehmen.
Dass das nicht immer leicht ist, das wissen wir. Gar zu verschieden sind wir Menschen, bunt und mit unterschiedlichen Eigenschaften. So sehen wir das auch im Bild. Die acht Quadrate haben verschiedene Farben und zeigen unterschiedliche Eigenschaften. Hören, Reden, Sehen, Handeln, Lieben und Sortieren gehören zu uns Menschen, genauso wie Zerbrochenes und Irrwege. Keiner kann alles, doch verbunden durch das Kreuz Jesu können sich alle einbringen. Dadurch wird es hell in der menschlichen Siedlung. In den Häusern gehen die Lichter an.
Und über allem schwebt der uns annehmende Gott, der sich in den drei Farbstrichen und dem hellen Licht erahnen lässt. Nun können wir es ein ganzes Jahr lang ausprobieren, das mit dem Annehmen der anderen, weil wir schon längst von Gott angenommen sind. Dann stimmen wir ein in das Lob Gottes und singen mit Christian Fürchtegott Gellert:
Wir haben einen Gott und Herrn,
sind eines Leibes Glieder,
drum diene deinem Nächsten gern,
denn wir sind alle Brüder.
Gott schuf die Welt nicht bloß für mich,
mein Nächster ist sein Kind wie ich.
EG 412,4
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