Adventsgedanken vom 16.12.2023
Vom König mit den leeren Händen
In einer Gemeinde sollte ein Krippenspiel aufgeführt werden. Wie jedes Jahr an Heiligabend. Diesmal hatten junge Leute das Krippenspiel geschrieben. Und sie schienen wirklich an alles gedacht zu haben: an Ochs und Esel, ja sogar an das Stroh. Bei der Generalprobe, bei der angeblich alles schiefgeht, ging tatsächlich allerhand schief. Kaum einer hatte seinen Text im Kopf, die Kulisse war unfertig, aber was das Schlimmste war: Die Rollen der drei Könige hatte man aus unerfindlichen Gründen schlichtweg vergessen zu besetzen. So schlug jemand vor, in der Gemeinde zu fragen, wer spontan bereit sei, einen König zu spielen. Es müsse ja kein Text auswendig gelernt werden und würde genügen, wenn die drei ein Geschenk mitbrächten und es an der Krippe ablegten.
Gesagt, getan. Und so wurde es Weihnachten. Die Kirche war am Heiligabend voll, die Besucher gespannt und die Schauspieler aufgeregt. Das Krippenspiel begann und es lief wunderbar, niemand blieb hängen. Und wenn doch einer ins Stottern geriet, war es genau an der richtigen Stelle und passte in die Weihnachtsgeschichte, wie dafür gemacht. Und dann kam der Auftritt der drei Könige, die in letzter Minute eingesprungen waren. Ohne Probe traten sie auf, wahrhaftig direkt aus dem Leben gegriffen.
Der erste König war ein Mann, Mitte vierzig, vielleicht auch etwas älter. Er hatte eine Krücke dabei, brauchte sie aber offenbar nicht. Alle schauten gespannt und spitzten die Ohren, als er die Krücke vor der Krippe ablegte und sagte: „Ich hatte in diesem Jahr einen Autounfall. Ich lag lange im Krankenhaus. Niemand konnte mir sagen, ob ich je wieder würde laufen können. Jeder kleine Fortschritt war für mich ein Geschenk. Diese Zeit hat mein Leben verändert. Ich bin aufmerksamer geworden. Es gibt für mich nichts Kleines und Selbstverständliches mehr: aufstehen am Morgen, sitzen, gehen, stehen und dabei sein – alles ist wunderbar, alles ist ein Geschenk. Ich lege diese Krücke vor die Krippe als Zeichen des Danks für den, der mich wieder auf die Beine gebracht hat!“
Es war sehr still geworden in der Kirche, als der zweite König nach vorne trat. Eigentlich war es eine Königin, eine Mutter von zwei Kindern. Sie sagte: „Ich schenke dir etwas, was man nicht kaufen, nicht sehen und nicht einpacken kann. Etwas, was mir heute doch das Wertvollste ist: Ich schenke dir mein Ja, mein Einverständnis zu meinem Leben, wie es geworden ist, so, wie du es bis heute geführt hast, auch wenn ich zwischendurch oftmals nicht mehr glauben konnte, dass du wirklich einen Plan für mich hast. Ich schenke dir mein Ja zu meinem Leben und allem, was dazugehört: zu meinen Schwächen und Stärken, zu meinen Ängsten, meiner Sehnsucht und zu den Menschen, die zu mir gehören, mein Ja zu meinem Zweifel, manchmal auch an meinem Glauben. Ich schenke dir mein Ja zu dir, Heiland der Welt!“
Jetzt trat der dritte König vor. Ein junger Mann mit abenteuerlicher Frisur, top gekleidet, gut gestylt, so, wie er sich auf jeder Party hätte sehen lassen können. Alles hielt den Atem an, als er mit ziemlich lauter Stimme sagte: „Ich bin der König mit den leeren Händen! Ich habe nichts zu bieten. In mir ist nichts als Unruhe. Ich bin voller Angst. Ich sehe nur so aus, als ob ich das Leben meistere. Hinter der Fassade ist nichts, kein Selbstvertrauen, kein Sinn, keine Hoffnung. Dafür aber viel Enttäuschung, viel Vergebliches, viele Verletzungen. Ich bin der König mit den leeren Händen. Ich zweifle an so ziemlich allem, auch an dir, Kind in der Krippe. Meine Hände sind leer. Aber mein Herz ist voll, voller Sehnsucht nach Vergebung, Versöhnung, Geborgenheit und Liebe. Ich bin hier und halte meine leeren Hände hin und bin gespannt, was du für mich bereithältst …“
Tief beeindruckt von diesem unerwarteten Königsauftritt zum guten Schluss stand jetzt eine merkwürdig bedrückende Sprachlosigkeit im Raum – bis Josef spontan zur Krippe ging, einen Strohhalm herausnahm, ihn dem jungen König in die leeren Hände gab und sagte: „Das Kind in der Krippe ist der Strohhalm, an den du dich klammern kannst!“
Weil alle spürten, dass so gesehen alle mehr oder weniger Könige mit leeren Händen waren, trotz voller Taschen und Geschenke, konnte man die Betroffenheit mit Händen greifen. Und so kam es, dass am Ende die Besucher in der Kirche nach vorne zur Krippe gingen und sich einen Strohhalm nahmen.